|
aktualisiert
am 1. Februar 2016
Auszüge
aus der Predigt von Kardinal Christoph Schönborn zur 30-Jahr-Feier der
Priesterbruderschaft in der Servitenkirche in Wien, am 8. November 2015
»Eure
Gemeinschaft ist 30 Jahre alt. Wir dürfen Geburtstag feiern. Ich
erinnere mich gut an die „Geburt“. Ich war zwar nicht Pate bei der
Geburt, aber mit eurem Gründer bin ich mehr als 30 Jahre befreundet -
mit Don Massimo Camisasca. Und ich erinnere mich gut an die ersten
Anfänge eurer Gemeinschaft in den Cappellette, neben Santa Maria
Maggiore in Rom.
Gemeinschaft. Ihr nennt euch
„Priesterbruderschaft, Gemeinschaft des Hl. Karl Borromäus“. Papst
Benedikt hat euch zu eurem 25. Geburtstag in Rom empfangen und eine
ganz wunderbare Ansprache gehalten über das, was Gemeinschaft ist. Das
möchte ich heute aufgreifen.
Was ist Gemeinschaft? Wie gelingt
sie? Aber nicht nur bei euch, sondern auch bei uns. Wir sind jetzt
„erst“ 800 Jahre alt - die Dominikaner. Die Serviten sind fast 800
Jahre alt. Und ein Dominikaner hat einmal den Jesuiten gesagt: „Wir
waren schon dekadent, da wart ihr noch nicht einmal gegründet.“
Gemeinschaften werden auch dekadent. Sie sterben und sie kennen wieder
Erneuerungen. Aber das gilt genauso für alle anderen Gemeinschaften.
Eine Pfarrgemeinde, sie kann zerbröseln, sie kann wieder aufleben. Es
gilt auch für die Familie, die Urgemeinschaft, die Urzelle aller
Gemeinschaften, auch sie kann einen Niedergang erleben und ein
Aufblühen.
Jesus gibt uns heute im Evangelium ganz klare
Hinweise, wie das funktioniert, wie eine Gemeinschaft niedergeht und
wie sie aufblüht. Und das möchte ich mit Ihnen heute kurz betrachten,
dieses erstaunliche Evangelium. Dieses Evangelium von der sehr
kritischen Betrachtung der Schriftgelehrten zuerst, und dann die arme
Witwe, die zwei Kupfermünzen in den Opferstock des Tempels wirft. Und
in diesen beiden Figuren, den Schriftgelehrten und dieser Witwe, haben
wir das Modell, wie Gemeinschaft nicht funktionieren kann - und wie sie
funktioniert. Oder wie Jesus Gemeinschaft versteht, und wie er sie
kritisiert, wenn sie fehl geht - denn Gemeinschaften können fehl gehen.
(…) Deshalb ist es gut, heute auf das Wort Jesu zu hören.
Was
macht eine Gemeinschaft lebendig? Das erste, was Jesus sagt, ist eine
Warnung. Eine Warnung vor den Schriftgelehrten. Sie kommen daher mit
langen Gewändern, genauso wie der Kardinal heute beim Einzug, sogar mit
langen Quasten, und sie lassen sich gerne auf den Plätzen grüßen. Ich
wurde auch schön und feierlich begrüßt. Und sie nehmen gerne
selbstverständlich die Ehrenplätze in den Synagogen ein. Ich bekomme
auch selbstverständlich in der Kirche den Ehrenplatz. Und bei den
Festmählern auch. Sie bringen die Witwen um ihre Häuser - das spricht
die Korruption in der Kirche an. Darüber haben wir Schmerzliches in
diesen Tagen gehört. Und das ist eine Realität, eine beschämende
Realität. (…)
Wenn wir ins Evangelium schauen, wo diese Stelle
steht, … denn das ist ganz wichtig, wo der Platz von diesem Evangelium
von der armen Witwe ist: Das ist das Letzte, was Jesus tut vor seiner
Passion. Es ist wie eine Zusammenfassung des ganzen Evangeliums. Da ist
alles drin. Da sagt er noch einmal, worum es wirklich geht. Aber er ist
alleine!
Es ist so erschütternd, wenn man sich die Szene
lebhaft vorstellt. Jesus sitzt im Tempel irgendwo beim Eingang. Da war
dieser große Opferstock, wo die Leute, die in den Tempel gekommen sind,
ihre Gaben hineingeworfen haben. Viele Reiche, Wohlhabende tun größere
Summen hinein. Jesus ist alleine! Das ist wichtig in diesem Moment. Wo
sind die Jünger? Kurz danach wird es heißen im Evangelium: „Sie staunen
über die Pracht des Tempels.“ Sie sind nicht bei der Sache. Sie sind
nicht bei Jesus. Sie schauen rundherum. Nur Jesus hat diesen Blick.
Jesus sieht diese arme Witwe. Er sieht sie, und das ist das
Entscheidende am Evangelium. Dieser Blick. Jesus sieht sie, obwohl sie
arm und unauffällig ist in der Menge der Leute, die ihre Gaben in den
Tempelschatz werfen. Und was macht Jesus? Es heißt hier: „Er ruft die
Jünger zusammen.“ In der Vulgata, im lateinischen Text, heißt es:
„convocans“.
Was ist die Kirche anderes als die „convocatio“,
die Zusammenrufung? Jesus ruft sie zusammen. Warum sind wir hier? Nicht
wegen P. Giovanni und auch nicht wegen der Priesterbruderschaft,
sondern der Herr hat uns zusammengerufen. Und er lädt uns ein. Er zeigt
uns etwas. Er zeigt uns diese Witwe.
Er nimmt uns mit hinein
in seinen Blick und so entsteht Kirche, „convocans“. So entsteht
Gemeinschaft der Glaubenden, derer, die sich von Jesus, von seinem
Blick, leiten lassen, mit seinen Augen zu sehen beginnen. Jesus sagt
dann den Jüngern: Diese Frau hat mehr gegeben als alle anderen, denn
die anderen haben von ihrem Überfluss gegeben. Das hat ihnen nicht weh
getan. Aber diese Frau hat alles gegeben, was sie zum Leben hatte: zwei
Kupfermünzen. Wenn wir jetzt noch einmal in den griechischen Text
schauen, kommt etwas ganz Starkes zum Ausdruck. Es heißt dort, sie hat
„holon ton bion“ gegeben, „ihr ganzes Leben“, man übersetzt
„Lebensunterhalt“. Sie hat ihr ganzes Leben gegeben. Das ist das, was
Gemeinschaft ausmacht! Und an dieser armen Witwe zeigt Jesus, wie
Gemeinschaft funktioniert, wie sie gelingt. Hingabe.
In dieser
Witwe sieht Jesus gewissermaßen wie in einem Spiegel sich selber, denn
das ist das, was er jetzt zu machen beginnt. Unmittelbar danach beginnt
die Passion, dann gibt er sein Leben. Und weil er sein Leben gegeben
hat, gibt es Gemeinschaft, gibt es die Gemeinschaft der Kirche. Sonst
wären wir nicht hier.
Liebe Priesterbruderschaft, ich glaube,
mit dieser Witwe hat Jesus euch heute einen Maßstab für die nächsten
dreißig Jahre, die nächsten hundert Jahre… – wer weiß – gegeben: Er
ruft euch zusammen und zeigt sie euch und zeigt sie uns. Und so
entsteht Kirche, so entsteht Gemeinschaft, mit Jesus. Durch Ihn und um
Ihn.«
|