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erstellt
am 3. Mai 2016
Predigt von Abt Johannes Jung beim Peregrini-Hochamt Sonntag, 1. Mai 2016, 19.00 Uhr, Servitenkirche
Dem Menschen eigen ist das Ideal des Ganzen. Ein unvollendetes
Kunstwerk kann uns zwar schon die Idee vermitteln, die in ihm zum
Ausdruck kommt, aber doch denken wir uns: Wie schön wäre es erst, wenn
es vollendet, ganz, wäre. – Wenn ein schönes Möbelstück beschädigt ist,
trachten wir danach, es reparieren zu lassen: Es soll wieder ganz
werden. – Auch wenn die Innenarchitektur dieser Kirche durch das Gerüst
einen ganz eigenen Charme erhalten hat – wie ein Wald – Sie freuen sich
doch, wenn das Gerüst wieder draußen ist und Sie diesen Innenraum
wieder „ganz“ sehen können.
Im
Griechischen heißt „ganz“ holos, und unsere Sprache hat daraus das Wort
„heil“ gemacht. Heil ist ganz, Heilung stellt den ganzen Menschen
wieder her. Auch die Harmonie der vom Himmel kommenden Stadt Gottes,
des neuen Jerusalem, ist von dieser Ganzheit und Regelmäßigkeit
geprägt. Jerusalem, das ist mehr als eine Stadt, das ist der Zustand
des Heiles, wie Paulus es schreibt: wenn Gott alles ist in allem (vgl.
1 Kor 15,28). Heil kommt also vom Ganzen.
Man könnte die
heutigen Schriftlesungen unter diesem Gesichtspunkt durchgehen, etwa
wie durch den Geist Gottes das Unvollständige an einer Kirche erkannt
worden ist, welche die Heiden, die gläubig geworden waren, nicht
einschließen würde. Oder wie der Herr seine Jünger darauf hinweist, wie
er und der Vater eins sind und wie sie durch das Wirken des
Gottesgeistes in diese Einheit einbezogen sind. Am Festtag des hl.
Peregrin denken wir aber auch an einen anderen, sehr direkten Aspekt
des Ganz-Seins, an die Heilung des Menschen von Krankheit und Leid.
Für
die Bibel ist Krankheit nicht einfachhin ein Defekt am sonst
funktionierenden Körper, sondern wenigstens auch Ausdruck einer tiefer
sitzenden seelischen Unordnung oder Verstimmung. Und so schön es ist,
wenn durch die ärztliche Kunst oder die Selbstreinigungskräfte des
Körpers Krankheiten zum Schwinden gebracht werden, wirklich geheilt,
also ganz gemacht, ist der Mensch erst dann, wenn das der Krankheit
zugrunde Liegende in Ordnung gebracht werden kann. So eröffnet sich ein
wenig der Zusammenhang von Krankheit und Gebet.
Eine Frucht
dieses Gebetes wird die Annahme sein. Ich nehme meine Krankheit, sei
sie körperlich oder seelisch, an als Teil meiner Sendung. Das ist ja
nicht zu verwechseln mit Resignation oder Fatalismus oder der
Verklärung des Duldens. Krank sein heißt un-heil, un-ganz sein und das
ruft nach Heilung! Aber das Annehmen ist der größere Realismus: „So ist
es jetzt mit mir!“ Natürlich fragt man: „Warum ich?“ und man hadert zu
Recht. Dann gilt es aber, sich selbst wieder zu entdecken: Ja, das bin
ich. Das bedeutet Annahme.
Unter den Leidenden gibt es ein
großes Vorbild: Jesus Christus. So haben die ersten Christen schon das
Bild des leidenden Gottesknechtes aus dem Buch des Propheten Jesaja auf
ihn hingewendet: Er trug die Krankheiten von Vielen und trat für die
Schuldigen ein (Jes 53.12). Frappant formuliert der Kolosserbrief den
Anteil jedes leidenden Menschen an dieser Rolle des Herrn. Der
Verfasser schreibt: Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für
euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem
irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt. (Kol 1,24).
Der Annahme des Leidens folgt die „Widmung, die Anerkennung eines
Sinnes im scheinbar Sinnwidrigen. Und seltsam: Dadurch entsteht „Heil“,
Ganzheit des Leibes Christi und in ihm auch meines und deines Leibes.
Nichts
ist verdrängt vom Leid, von der Krankheit, der Ernst der Situation ist
nicht genommen oder mit einer Sauce aus Frömmigkeit umhüllt. Der
Schmerz bleibt, und wir wissen von den Krankheiten, die zum Tode
führen. Und wenn ein Glied leidet, leiden die anderen mit. Aber ich
nehme teil an der Erlösung des ganzen Leibes, weil ich an der Sendung
Jesu Christi Anteil habe.
So gilt auch für uns und für jeden
kranken das Wort Christi aus den Abschiedsreden an seine Apostel: Euer
Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht! Diesen Frieden kann die
Welt nicht geben. Er kommt aus der Verbindung des Getauften mit dem
Herrn, der uns „heil-ig“, ganz, gesund machen will. Ihm sei die Ehre in
Ewigkeit.
Abt Johannes Jung – Mai 2016
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