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erstellt
am 24. Juni 2013
Predigt zu P. Gregors 85. Geburtstag von P. Gottfried M. Wolff OSM 16. Juni 2013
Das
Evangelium (Lk 7, 36 - 8, 3) hat uns da heute eine Geschichte erzählt, die für damalige
Hörer und fromme Juden eigentlich nur furchtbar und skandalös war. Wir
heutige emanzipierte Menschen im Zeitalter der Globalisierung benötigen
da schon eine kleine Hinführung, um die Dramatik dieser Geschichte
überhaupt richtig verstehen zu können.
Was war geschehen? Jesus
war bei einem wohlhabenden Mann zu Gast, der wohl einer strengen
Richtung des Judentums angehörte. Zu einem solchen offiziellen
Festessen hatten im damaligen Orient auch Nicht-Geladene Zutritt, die
aber der geladenen Gesellschaft nur beim Essen zuschauten und ihre
Tischgespräche mithörten. Das Essen wurde auf einem flachen, fast
ebenerdigen Tisch serviert. Alle, Geladene und Nicht-Geladene saßen auf
dem Boden. Und, was wichtig ist: Es war eine reine Männergesellschaft;
alle, Geladene und Nichtgeladene waren Männer.
Mitten in diese
Männergesellschaft bricht nun eine Frau ein, die noch dazu einschlägig
bekannt war, oder wie das Evangelium kurz sagt, die eine Sünderin war.
Das Verhalten dieser Frau zeigt, dass sie unter ihrer Schuld leidet und
eine Neuorientierung für ihren Lebensweg sucht. Sie hat von Jesus
gehört und seine Worte haben ihr neue Hoffnung gegeben. Deshalb will
sie Jesus danken und ihm öffentlich ihre Verehrung zeigen. Sie setzt
sich dazu ans Ende des Polsters, auf dem Jesus liegt, und „wäscht“ ihm
– im übertragenen Sinn – mit ihren überfließenden Tränen seine Füße,
trocknet sie anschließend mit ihren Haaren und salbt sie mit einem
kostbaren Öl. Sie erweist Jesus damit den Dienst der Fußwaschung, den
eigentlich – nach orientalischem Brauch – der Gastgeber am Beginn eines
solchen Mahles an allen Geladenen vollzog.
Was war aber nun das
Skandalöse an dieser Geschichte? Es waren drei Dinge, die für die
damaligen Hörer einfach nur schrecklich und skandalös waren – nämlich,
dass – erstens – eine einschlägig bekannte Frau ungehindert in eine
geschlossene Männergesellschaft einbricht, dass sie – zweitens – damit
den frommen und ehrbaren Gastgeber für alle Zeiten kompromittiert und
unmöglich macht, und dass – drittens – der große Rabbi und Prophet
Jesus das alles duldet, ja sogar auch noch rechtfertigt.
Soweit
die damalige Geschichte. Was aber ist die Aktualität dieser Geschichte
für uns heute? Ich meine, ihre Aktualität liegt vor allem darin, dass
in Simon, dem frommen Gastgeber, und Jesus zwei religiöse Haltungen
aufeinanderstoßen, die es auch bei uns bis zum heutigen Tag gibt. Für
Simon ist die Tradition eine heilige Verpflichtung; die überlieferten
religiösen Sitten und Bräuche sind ihm heilig. Und er sieht es als
seine erste Pflicht, diese Sitten und Traditionen mit aller Macht zu
verteidigen. Sich selbst, den Glauben und sogar Gott sieht er durch
jede kleinste Übertretung oder Veränderung angegriffen und beschädigt.
Deshalb ist Simon fest davon überzeugt, dass es auch Jesu Meinung und
Wille nur sein kann, dass diese Frau für ihr Verhalten bestraft wird.
Für Simon ist völlig klar, dass Gott kein Freund von solchen Menschen
sein kann, die so offensichtlich gesündigt haben. Deshalb kann es für
den Frommen gegenüber diesen Menschen nur eine Haltung geben: nämlich
die klare Abgrenzung. Ja, sogar Jesus, Gott selbst, beobachtet Simon
mit der gleichen Einstellung: Wird Jesus so handeln, wie Simon es sich
wünscht, dann ist er ein echter und wahrer Prophet. Wird er das nicht
tun, dann müsste sogar er, der Sohn Gottes, ausgegrenzt und bekämpft
werden. Interessant ist allerdings, dass Simon es nicht wagt, Jesus
offen anzugreifen oder zu attackieren.
Denn Jesus handelt in der
Tat ganz anders. Er lässt die Frau gewähren und signalisiert ihr, dass
er sie versteht. Es ist kein Problem für Jesus mit Frommen und Sündern
zugleich Umgang zu haben; für ihn zählt nicht die Tradition, wie es
halt immer schon war, sondern er sieht die konkrete Not dieser Frau.
Trotz ihres Versagens stößt er sie nicht zurück. Er sieht hinter ihrem
äußeren Handeln ihre Gesinnung, ihre Umkehr: Denn die Frau weint –
äußerlich über ihre Sünde, innerlich aber auch über die
Unbegreiflichkeit und Größe der Barmherzigkeit Jesu.
Mit diesem
heutigen Evangelium macht Jesus damit natürlich die Tür seiner Kirche
weit auf auch für alle Menschen unserer Tage, die in Schuld verstrickt
sind und sich ausgeschlossen fühlen aus der kirchlichen Gemeinschaft!
Mit klarster Eindeutigkeit stellt Jesus den Menschen, der seine Schuld
bekennt und mit ihm in Gemeinschaft treten möchte, über alle
traditionellen und kirchenrechtlichen Konventionen, und verurteilt
damit jedes rein rechtliche Denken in seiner Kirche – auch heute! Neue
Bedeutung hat diese Sicht des heutigen Evangeliums wieder erlangt durch
unseren neuen Papst Franziskus, der in seinen Ansprachen die Priester
und die Gemeinden immer wieder auffordert, sich nicht in
Selbstgenügsamkeit in sich selbst zu verschließen, sondern aus den
Kirchen heraus an die Ränder der heutigen Gesellschaft zu gehen, um die
Sünder und Ausgestoßenen unserer Zeit anzusprechen und sie in die Nähe
Gottes in die Kirche zurückzuholen.
Ein Aspekt des heutigen
Evangeliums muss allerdings gerade heute in den Zeiten der
„Kirchenvolksbegehren“, in der sich viele Christen für ach so
schrecklich modern und tolerant halten, noch angesprochen werden. Denn,
wie oft verweigern gerade diese Christen, die einerseits Toleranz für
alles und jeden fordern, gerade jenen auch heute die Toleranz, die
ihnen nicht folgen können oder wollen, die wie der „fromme Simon“ aus
dem heutigen Evangelium einen anderen Standpunkt in der Kirche
vertreten. Auch dazu ist die Botschaft des heutigen Evangeliums ganz
klar: Wie die Sünderin so verurteilt Jesus auch den „frommen Simon“ für
seine Ansichten nicht! Er stellt ihn weder bloß, noch hält er ihm eine
Moralpredigt. Stattdessen hält er dem Simon diskret mit einer
Geschichte aus dem damaligen Wirtschaftsleben den Spiegel vors Gesicht
und lässt ihm am Ende die Freiheit, selbst die Lösung zu finden und zu
erkennen, wenn er zum ihm sagt: Der Frau „sind ihre vielen Sünden
vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig
vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.“ (47)
Zusammenfassend
ist zu sagen, dass dieser heutige Text vielleicht einer der
anspruchsvollsten und herausforderndsten Texte des Evangeliums
überhaupt ist. Über alle Zeiten hinweg ermahnt es uns Priester und die
Gemeinden, dass wahre Nachfolge nicht zuerst in der Verteidigung eines
angeblichen Schatzes von unverrückbaren Traditionen und Vorschriften
besteht. Wahre Nachfolge schließt Schuld und Versagen nicht aus. Wahre
Nachfolge sucht den Weg zu den Menschen am Rand der Gesellschaft und
vollzieht sich deshalb oft auch in ungewohnten Formen. Wahre Nachfolge
schließt Menschen nicht aus, die in Schuld gefallen sind und auf der
Schattenseite des Lebens stehen. Eine solche Nachfolge darf sich dann
auch der Zusage des Segens und der Liebe Gottes sicher sein: Denn Gott
schreibt auch auf krummen Zeilen gerade! Soweit die Botschaft des
heutigen Evangeliums.
Wir feiern heute in dieser heiligen Messe
den 85. Geburtstag unseres lieben Pater Gregor. Ich könnte mir
vorstellen, dass manche vielleicht nun sagen oder sich denken: Jetzt
hat er wieder so lange über Jesus geredet; wir wollen doch heute
eigentlich über Pater Gregor reden. Ich habe es allerdings bewusst
getan, weil ich glaube, dass es auch in deinem Sinne ist, lieber
Gregor, dass es unsere erste Aufgabe als Priester und Ordensleute ist,
immer zuerst über Jesus und unseren Glauben zu reden. Ich hatte aber
auch noch einen zweiten Grund, dass ich mich in dieser Predigt einfach
auf das Tagesevangelium konzentriert habe. Denn bei der Vorbereitung,
beim Aufschlagen des heutigen Evangelium vor vielen Wochen, war mir
sofort klar: Dieses Evangelium liefert mir eine wunderbare Vorlage, um
dir, lieber Gregor, zu deinem Ehrentag ein Kompliment und einen Dank
auszusprechen, was ich im Folgenden versuchen möchte: Ich stelle mir
dabei vor, dass ich meine heutige Predigt nochmals vor jungen Brüdern
unseres Ordens halten würde, und dass man im kleinen Kreis nach der
Predigt in ein Gespräch darüber eintreten würde, in dem mich ein junger
Bruder dann fragen würde: Kannst du uns den Namen eines Bruders nennen,
der uns ein Vorbild sein kann für das, was Jesus uns da im heutigen Evangelium
predigt? Und meine Antwort würde sicher lauten: Ich kenne einen Bruder
unserer Provinz, der das, was da im heutigen Evangelium gesagt wird, in
vorbildlichster Weise gelebt hat und lebt: Es ist unser Pater Gregor in
Wien!
Lieber Gregor, ich weiß, dass du das, was ich jetzt gesagt
habe, vielleicht gar nicht so gern hörst. Aber nimm es heute an deinem
Ehrentag an als ein Kompliment und ein Wort des Dankes und der
Anerkennung deines Provinzials für dein lebenslanges, außergewöhnliches
Zeugnis der Nachfolge als Priester und Servit! Dies ist mein Wort für
dich am heutigen Tag, von denen sicher noch viele andere – und bessere
– folgen werden. Beten wir nun miteinander im weiteren Gottesdienst –
in Bitte und Dank – um alle Gnaden Gottes für dich, lieber Gregor, zu
deinem 85. Geburtstag!
P. Gottfried M. Wolff OSM (Provinzial der Tiroler Servitenprovinz)
Provinzial P. Gottfried bei der Predigt
P. Gregor als aufmerksamer Zuhörer
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